Juni
Unternehmensnachfolge - welche Rolle spielt die (Unternehmens-)Kultur?
Hier den letzten Beitrag der Blogserie lesen.
Im Verkauf und in der Übernahme eines Unternehmens stecken Herausforderungen, die erst in der Detailbetrachtung deutlich werden. Hierzu gehören beispielsweise sich widersprechende Interessen und Konfliktsituationen beim Übergabeprozess, wie wir es im Blogbeitrag vom Januar 2019 erörtert haben. In diesem Folgebeitrag nehmen Bernd Friedrich und seine Kollegin Katharina Daniels (Kommunikationsberaterin) die Unternehmenskultur unter die Lupe, genauer: ihren untergründigen aber genau deswegen umso nachhaltigeren Einfluss auf den Prozess der Nachfolgeregelung.
Bernd Friedrich: Frau Daniels, Gründer und Inhaber haben ihr Unternehmen über Jahrzehnte mit einer bestimmten Wertevorstellung aufgebaut, geprägt und weiterentwickelt. Werte und Einstellungen wiederum prägen eine Unternehmenskultur. Welchen Einfluss bzw. welche Auswirkungen hat eine bestehende Kultur auf den anstehenden Nachfolgeprozess? Was sind da ihre Erfahrungen?
Katharina Daniels: Vorab ein klein wenig tiefer hinein in die Überlegung, was Unternehmenskultur eigentlich ist. Es geht immer darum, wie Menschen miteinander arbeiten und in welchem Verständnis sie das tun. In Imagebroschüren größerer Unternehmen wird gern eine verantwortungsvolle und mit edlen Werten gefütterte Unternehmenskultur behauptet, von der die Mitarbeiter im Unternehmen meistens sagen: „Ach was, das soll unser Unternehmen sein? Kenn‘ ich nicht, muss ein anderes sein“. So ein Auseinanderklaffen von Darstellung und Wahrnehmung ist ein wichtiges Signal, wirklich auf den Grund zu tauchen, sich genau zu vergewissern, welche Werte in diesem Unternehmen gelten und ob alle Mitarbeiter, vom Chef bis zum Arbeiter, darunter auch wirklich dasselbe verstehen.
Herr Friedrich, Sie fragten nach der Bedeutung der Unternehmenskultur für den Nachfolgeprozess. Ich denke, die Kultur eines Unternehmens ist ein tief verankertes Wesensmerkmal; es geht um viel mehr als „nur“ um den betriebswirtschaftlichen Wert des Unternehmens. Es ist ein großer Unterschied, ob in einem Unternehmen Menschen beispielsweise sehr stark auf gemeinschaftliche Entscheidungen ausgerichtet sind oder auf eine große Entscheidungsselbstständigkeit von Mitarbeitern oder ob es ein Unternehmen ist, in dem ohne die Entscheidung des Chefs nichts läuft, mal etwas überzeichnet ausgedrückt. Das läuft unter dem Begriff der autokratischen Kultur. Für potentielle Käufer ist das eine wichtige Information.
Wie Sie schon sagten, eine Kultur wird maßgeblich (mit-)geprägt vom Gründer und Inhaber. Menschen identifizieren sich mit ihrer spezifischen Art der Zusammenarbeit, haben sich darin eingerichtet, ihre Rollen gefunden. Wenn nun der Käufer des Unternehmens mit einer gänzlich anderen Kulturvorstellung das Unternehmen übernimmt, kann das zu extremen Verwerfungen führen. Sollen beispielsweise Mitarbeiter, die bisher klare Anweisungen und Hierarchien gewohnt waren, auf einmal sehr vieles selbst entscheiden: klar, dass die dann vollkommen verwirrt, ja hilflos sind. Das lässt sich auch umgekehrt denken: Der bisherige Chef des Betriebs hat seinen Mitarbeitern viel Autonomie zugestanden, so konnte etwa der Lehrling, wenn’s drängte, Entscheidungen sofort treffen, sofern er das bereits fachlich beherrschte – und musste sich diese Entscheidung nicht nochmal extra vom Meister abnicken lassen. Will nun der „Neue“ bis ins Kleinste vorab informiert werden, bevor irgendwas in Gang kommt: Da ist es wohl gut vorstellbar, dass da Unfrieden dräut.
Wie wir‘s auch drehen und wenden: Ein von oben verordneter Kulturwandel kann vom erbitterten Widerstand bis zur regelrecht tödlichen Resignation und inneren Emigration ein ganzes Unternehmen lahmlegen. Nochmal zum Verständnis: Es geht bei diesen Beispielen nicht um gut oder schlecht: es geht ausschließlich um das wertungsfreie Beobachten, was da ist an Kultur?
Mich würde an diesem Punkt sehr interessieren, Herr Friedrich: bei der großen Anzahl von Unternehmen, die Sie bereits beim Verkaufsprozess begleitet haben: Welche Art der Zusammenarbeit haben Sie vornehmlich beobachtet?
Bernd Friedrich: Bei Unternehmen mit einer geringen Anzahl von Mitarbeitern (weniger als 50) habe ich vorwiegend autokratische Kulturen mit einem großen Respekt der Mitarbeiter gegenüber „dem Chef“ wahrgenommen. Hier schafft der Inhaber einen „familiären“ und „geschützten“ Raum, wo die Mitarbeiter Sicherheit und Verlässlichkeit finden. Die Mitarbeiter belohnen dem Chef dies mit einer langjährigen Beschäftigungsdauer und Leistungserbringung im Unternehmen: Damit waren und sind sie ein verlässlicher Partner im Betrieb. Diese Kultur ist teilweise über Jahrzehnte im Betrieb verankert und ist bei einem Inhaberwechsel nur schwer zu verändern.
Jetzt wieder meine Fragen an Sie, Frau Daniels: Wie kann ein „Übernehmer“ in der Praxis einen Kulturwandel professionell und damit erfolgreich umsetzen – und wie schnell geht das?
Katharina Daniels: Zuerst zur Frage, wie schnell das geht: Besonders die Veränderung in der Art wie wir miteinander arbeiten und umgehen, ist ein langwieriger Prozess. Denken Sie nur dran, wie schwer sich Menschen überhaupt tun, liebgewonnene oder einfach nur vertraute Gewohnheiten aufzugeben. Gerade auch in Unternehmen haben sich oft Rituale entwickelt, wer mit wem was abspricht, in welchem Rhythmus die Menschen arbeiten; ein allseits bekanntes Abwehrphänomen gegenüber Neuerungen ist: „Das haben wir hier schon immer so gemacht. Punkt!“. Also, jetzt zu sagen: den Kulturwandel setzen wir in den kommenden drei bis sechs Monaten um und dann läuft das schon, ist wirklichkeitsfremd, mehr noch, es ist menschenverachtend. Menschen sind keine Maschinen, die man einfach umprogrammieren kann. Um jetzt doch mal eine Zahl zu nennen, weil gerade Wirtschaftsprozesse und „Macher“ so sehr nach Zahlen verlangen: Ein wirklich grundlegender Wandel braucht, bis er wirklich angenommen wird, sicher ein Jahr. Und auch dann ist das „Produkt“ nicht fertig; denn ein Kulturwandel ist kein Produkt, sondern ein Prozess, der nie wirklich endet. Auch in unserem privaten Alltag lernen wir ja jeden Tag noch etwas Neues dazu, und sei es noch so winzig, so dass es uns in diesem Moment vielleicht gar nicht auffällt. Genauso ist es auch in dem lebendigen Gefüge Unternehmen.
Und damit zu einem ganz wichtigen Punkt bei einem Kulturwandel. Nichts ist für Menschen so wichtig wie die schon oben erwähnten Rituale; sie vermitteln Verlässlichkeit und Stabilität. Wenn liebgewordene Rituale wegfallen sollen (Mittagspause ist immer um 12.30 und wenn die Welt zusammenbricht) – dann braucht es neue Rituale. Und die lassen sich nur mit den Mitarbeitern gemeinsam entdecken und entwickeln. Über die Köpfe hinweg geht gar nichts! Dieses Verständnis der menschlichen Natur und des Umgangs damit würde ich als professionell bezeichnen. Welche Erfahrungen haben Sie, Herr Friedrich, gemacht: Denken Inhaber eines Unternehmens darüber nach, auf Basis welcher Werte und welchen Selbstverständnisses sie ihr Unternehmen leiten? Und was das für den Charakter des Unternehmens bedeutet?
Bernd Friedrich: Ich kann eher von den Fällen berichten, bei denen aus charakterlichen Eigenheiten von Verkäufer und Kaufinteressent heraus eine Übergabe gescheitert ist. Auch wenn alle anderen Faktoren stimmten, wie Marktwert des Unternehmens usw. Stellen Sie sich auf Übergeber- und auf Übernehmerseite zwei Alpha-Tierchen vor. Beide blicken mit einer klaren Vorstellung auf das Unternehmen. Das bedeutet, sie haben das „WAS“ im Fokus. Im Blick ist: Welche Mitarbeiter mit welchem Alter und welcher Qualifikation sind heute an Bord? Wenn nun der potentielle Übernehmer sagt: „Mit denen, die da jetzt arbeiten, sehe ich meine wirtschaftlichen Ziele gefährdet, ich werde die Belegschaft neu aufstellen“ – dann lässt sich wohl vorstellen, dass der „alte“ Chef das als Angriff auf alles empfinden muss, was er über Jahre aufgebaut hat. Gerade in solchen Konstellationen wie der eben beschriebenen gerät, in diesem Fall beim potentiellen Übernehmer, das „WIE“ aus dem Blick: Wie erreiche ich mit den jetzt dort arbeitenden Menschen und deren Wertevorstellungen mein wirtschaftliches Ziel? Ich habe in meinen bisherigen Mandaten selten Interessenten erlebt, die in den ersten Gesprächen mit dem Inhaber gefragt haben: „Wie sieht eigentlich in diesem Unternehmen, für das ich mich interessiere, das Zusammenspiel zwischen den Mitarbeitern untereinander und zwischen Mitarbeitern und Chef aus?“ Auch das kritische Hinterfragen der Wertevorstellung des Chefs sowie der aktuellen Unternehmenskultur und der erforderliche Vergleich wird von den wenigsten Interessenten vorgenommen.
Frage an Sie, Frau Daniels: Was empfehlen Sie Übernehmern? Welche wirksamen Werkzeuge für das Erkennen der aktuellen Kultur und einen möglichen Kulturwandel könnten sinnvoll sein?
Katharina Daniels: Zuerst mal klein begonnen: Der neue Chef „bricht sich nichts ab“, wenn er intensive Gespräche mit Mitarbeitern führt, und wohlgemerkt nicht nur mit den Führungskräften, ich meine gerade auch die Basis der Mitarbeiterschaft. Das können kurze Einzelgespräche sein, in der Industrie bspw. mit Mitarbeitern der Produktion. Die Menschen empfinden das als Wertschätzung und werden das dem „Neuen“ hoch anrechnen, wenn er versucht, zu begreifen, wie die Menschen in diesem Unternehmen ticken.
Ich möchte aber einen großen Schritt weitergehen: Gerade wenn es um ein so wenig fassbares, vor allem so wenig messbares Phänomen wie Kultur geht, sind Formate sehr sinnvoll, in denen von Beginn an die Mitarbeiter intensiv einbezogen werden. Nochmal: Ich kann ein Produkt in der Theorie entwickeln und es dann umsetzen; ich kann aber nicht Menschen über ihre Köpfe hinweg „entwickeln“. Ich würde hier empfehlen, sich als neuer Chef wirklich die Zeit zu nehmen und beispielsweise ein, vielleicht sogar zwei Tage mit den Mitarbeitern an Themen zu arbeiten wie: Wer arbeitet in unserem Unternehmen oder Betrieb besonders eng zusammen? Wo gibt es die meisten Abstimmungserfordernisse und wo die meisten Reibungspunkte? Welche vertrauten Gewohnheiten sind uns besonders wichtig? Weiß ich eigentlich, gerade in einem größeren Unternehmen, was bzw. woran mein Kollege da eigentlich den ganzen Tag arbeitet? Was erwarte ich von meinem Chef oder meinen direkten Vorgesetzten?
Solche Fragestellungen können in jeweils kleinen Gruppen erarbeitet werden, dann erfolgt der Austausch untereinander und – was ganz wichtig ist – eine Agenda mit Punkten, an denen die Menschen jetzt arbeiten wollen und in welchen Zeitspannen sie was erreichen wollen. Diese Agenda muss dann wirklich konsequent umgesetzt werden – und dafür braucht es natürlich Prozessbegleiter, die wiederum diese Umsetzung beobachten und dafür sorgen, dass sich das gemeinsame Vorhaben nicht in Luft auflöst. Der neue Chef vermittelt durch solche Art der Einbindung seinen Mitarbeitern Wertschätzung, das Empfinden: „Hey, meine Meinung zählt hier was“; und was folgt daraus? Mitarbeiter empfinden Stolz, auf sich und auf „ihr“ Unternehmen bzw. „ihren“ Betrieb, in dem sie arbeiten. Menschen, die stolz auf etwas sind, bringen sich ein! Solche Formate bzw. diese Art des miteinander Arbeitens, nicht nur im System (die klassische Arbeitsplatzbeschreibung), sondern auch am System (und hier geht es wirklich um die Entwicklung des Unternehmens) mögen im ersten Moment nicht sonderlich effizient wirken, also möglichst zeit- und ressourcenschonend den maximalmöglichen Output zu erzielen. Sie sind aber tiefer gedacht viel nachhaltiger, also effektiver, als bloße Verkündungsformate: „Jetzt machen wir alles anders und wer nicht mitmacht, fällt raus aus dem System“. Was Menschen selbst mitgestaltet haben, dafür stehen sie dann auch ein, mit ihrer Begeisterung und vollen Arbeitskraft.
Bernd Friedrich: Fassen wir zusammen, Frau Daniels: Mit Sicherheit können wir wohl sagen, dass die Frage der Unternehmenskultur bei der Nachfolgeregelung nicht zu unterschätzen ist. Es steht in jedem Fall eine Kulturveränderung an, denn der Nachfolger ist keine „Kopie“ des alten Chefs und er wird es anders machen. Aus der Sicht des Veräußerers ist es ihm auch erlaubt, die Wertevorstellung des Interessenten durch geschickte Fragen frühzeitig herauszufinden. Hierbei gibt es zwei wesentliche Vorteile: 1. Die Entscheidung für oder gegen einen Interessenten fällt bereits zu Beginn und 2. Falls der Interessent zum Zuge kommt, ist der Veränderungsprozess bei den beschäftigen Mitarbeitern verträglicher.
Zur Person und Rolle
Nach 20 Jahren Berufserfahrung im Personalbereich in technischen Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen ist Bernd Friedrich seit 2012 selbstständig tätig. Sein Schwerpunkt liegt in der Beratung und Begleitung des Inhabers entwickelnder, produzierender und vertreibender technischer kleiner und mittlerer (Handwerks-)Betriebe zum Thema der Unternehmensnachfolge.
Profile im Web:
www.correct-uv.de
https://vbu-berater.de/bernd-friedrich
Zur Person und Rolle
Die Kommunikationsberaterin Katharina Daniels ("Die Sprache Ihres Unternehmens") begleitet und unterstützt Führungsebenen und Mitarbeiter bei solchen (wie oben beschriebenen) Prozessen der Selbstfindung und Erkenntnis: Was macht unsere Art der Zusammenarbeit (Unternehmenskultur) aus und was wünschen wir uns? Sprechen wir eigentlich dieselbe Sprache? Meint die Führungsebene dasselbe wie die Mitarbeiter, wenn sie von bestimmten Veränderungen spricht? Wie oft geschieht es, gerade in Veränderungsprozessen, dass die Menschen im Unternehmen vollkommen aneinander vorbeireden, dass die Führungsebene nicht weiß, warum die Mitarbeiter nicht "mitziehen", und die Mitarbeiter sich unverstanden fühlen, blockieren oder in die innere Emigration gehen. Die Mentorin für Kommunikationsprozesse im Unternehmen hat für ihre Begleitung eigene Methoden entwickelt. So ermöglicht das "Unternehmenstagebuch" den Mitarbeitern, eine eigene Sprache für die erlebte Veränderung zu finden: "Was hat sich bei uns bewegt? Was läuft prima? Wo können wir noch nachbessern?" Mitarbeiter, die so zur Entwicklung ihres Unternehmens beitragen, sind stolz auf "ihr" Unternehmen und identifizieren sich mit ihrem Arbeitgeber.
Profile im Web:
http://www.daniels-kommunikation.de/
https://vbu-berater.de/katharina-daniels/
Juni
Unternehmensnachfolge - welche Rolle spielt die (Unternehmens-)Kultur?
Hier den letzten Beitrag der Blogserie lesen.
Im Verkauf und in der Übernahme eines Unternehmens stecken Herausforderungen, die erst in der Detailbetrachtung deutlich werden. Hierzu gehören beispielsweise sich widersprechende Interessen und Konfliktsituationen beim Übergabeprozess, wie wir es im Blogbeitrag vom Januar 2019 erörtert haben. In diesem Folgebeitrag nehmen Bernd Friedrich und seine Kollegin Katharina Daniels (Kommunikationsberaterin) die Unternehmenskultur unter die Lupe, genauer: ihren untergründigen aber genau deswegen umso nachhaltigeren Einfluss auf den Prozess der Nachfolgeregelung.
Bernd Friedrich: Frau Daniels, Gründer und Inhaber haben ihr Unternehmen über Jahrzehnte mit einer bestimmten Wertevorstellung aufgebaut, geprägt und weiterentwickelt. Werte und Einstellungen wiederum prägen eine Unternehmenskultur. Welchen Einfluss bzw. welche Auswirkungen hat eine bestehende Kultur auf den anstehenden Nachfolgeprozess? Was sind da ihre Erfahrungen?
Katharina Daniels: Vorab ein klein wenig tiefer hinein in die Überlegung, was Unternehmenskultur eigentlich ist. Es geht immer darum, wie Menschen miteinander arbeiten und in welchem Verständnis sie das tun. In Imagebroschüren größerer Unternehmen wird gern eine verantwortungsvolle und mit edlen Werten gefütterte Unternehmenskultur behauptet, von der die Mitarbeiter im Unternehmen meistens sagen: „Ach was, das soll unser Unternehmen sein? Kenn‘ ich nicht, muss ein anderes sein“. So ein Auseinanderklaffen von Darstellung und Wahrnehmung ist ein wichtiges Signal, wirklich auf den Grund zu tauchen, sich genau zu vergewissern, welche Werte in diesem Unternehmen gelten und ob alle Mitarbeiter, vom Chef bis zum Arbeiter, darunter auch wirklich dasselbe verstehen.
Herr Friedrich, Sie fragten nach der Bedeutung der Unternehmenskultur für den Nachfolgeprozess. Ich denke, die Kultur eines Unternehmens ist ein tief verankertes Wesensmerkmal; es geht um viel mehr als „nur“ um den betriebswirtschaftlichen Wert des Unternehmens. Es ist ein großer Unterschied, ob in einem Unternehmen Menschen beispielsweise sehr stark auf gemeinschaftliche Entscheidungen ausgerichtet sind oder auf eine große Entscheidungsselbstständigkeit von Mitarbeitern oder ob es ein Unternehmen ist, in dem ohne die Entscheidung des Chefs nichts läuft, mal etwas überzeichnet ausgedrückt. Das läuft unter dem Begriff der autokratischen Kultur. Für potentielle Käufer ist das eine wichtige Information.
Wie Sie schon sagten, eine Kultur wird maßgeblich (mit-)geprägt vom Gründer und Inhaber. Menschen identifizieren sich mit ihrer spezifischen Art der Zusammenarbeit, haben sich darin eingerichtet, ihre Rollen gefunden. Wenn nun der Käufer des Unternehmens mit einer gänzlich anderen Kulturvorstellung das Unternehmen übernimmt, kann das zu extremen Verwerfungen führen. Sollen beispielsweise Mitarbeiter, die bisher klare Anweisungen und Hierarchien gewohnt waren, auf einmal sehr vieles selbst entscheiden: klar, dass die dann vollkommen verwirrt, ja hilflos sind. Das lässt sich auch umgekehrt denken: Der bisherige Chef des Betriebs hat seinen Mitarbeitern viel Autonomie zugestanden, so konnte etwa der Lehrling, wenn’s drängte, Entscheidungen sofort treffen, sofern er das bereits fachlich beherrschte – und musste sich diese Entscheidung nicht nochmal extra vom Meister abnicken lassen. Will nun der „Neue“ bis ins Kleinste vorab informiert werden, bevor irgendwas in Gang kommt: Da ist es wohl gut vorstellbar, dass da Unfrieden dräut.
Wie wir‘s auch drehen und wenden: Ein von oben verordneter Kulturwandel kann vom erbitterten Widerstand bis zur regelrecht tödlichen Resignation und inneren Emigration ein ganzes Unternehmen lahmlegen. Nochmal zum Verständnis: Es geht bei diesen Beispielen nicht um gut oder schlecht: es geht ausschließlich um das wertungsfreie Beobachten, was da ist an Kultur?
Mich würde an diesem Punkt sehr interessieren, Herr Friedrich: bei der großen Anzahl von Unternehmen, die Sie bereits beim Verkaufsprozess begleitet haben: Welche Art der Zusammenarbeit haben Sie vornehmlich beobachtet?
Bernd Friedrich: Bei Unternehmen mit einer geringen Anzahl von Mitarbeitern (weniger als 50) habe ich vorwiegend autokratische Kulturen mit einem großen Respekt der Mitarbeiter gegenüber „dem Chef“ wahrgenommen. Hier schafft der Inhaber einen „familiären“ und „geschützten“ Raum, wo die Mitarbeiter Sicherheit und Verlässlichkeit finden. Die Mitarbeiter belohnen dem Chef dies mit einer langjährigen Beschäftigungsdauer und Leistungserbringung im Unternehmen: Damit waren und sind sie ein verlässlicher Partner im Betrieb. Diese Kultur ist teilweise über Jahrzehnte im Betrieb verankert und ist bei einem Inhaberwechsel nur schwer zu verändern.
Jetzt wieder meine Fragen an Sie, Frau Daniels: Wie kann ein „Übernehmer“ in der Praxis einen Kulturwandel professionell und damit erfolgreich umsetzen – und wie schnell geht das?
Katharina Daniels: Zuerst zur Frage, wie schnell das geht: Besonders die Veränderung in der Art wie wir miteinander arbeiten und umgehen, ist ein langwieriger Prozess. Denken Sie nur dran, wie schwer sich Menschen überhaupt tun, liebgewonnene oder einfach nur vertraute Gewohnheiten aufzugeben. Gerade auch in Unternehmen haben sich oft Rituale entwickelt, wer mit wem was abspricht, in welchem Rhythmus die Menschen arbeiten; ein allseits bekanntes Abwehrphänomen gegenüber Neuerungen ist: „Das haben wir hier schon immer so gemacht. Punkt!“. Also, jetzt zu sagen: den Kulturwandel setzen wir in den kommenden drei bis sechs Monaten um und dann läuft das schon, ist wirklichkeitsfremd, mehr noch, es ist menschenverachtend. Menschen sind keine Maschinen, die man einfach umprogrammieren kann. Um jetzt doch mal eine Zahl zu nennen, weil gerade Wirtschaftsprozesse und „Macher“ so sehr nach Zahlen verlangen: Ein wirklich grundlegender Wandel braucht, bis er wirklich angenommen wird, sicher ein Jahr. Und auch dann ist das „Produkt“ nicht fertig; denn ein Kulturwandel ist kein Produkt, sondern ein Prozess, der nie wirklich endet. Auch in unserem privaten Alltag lernen wir ja jeden Tag noch etwas Neues dazu, und sei es noch so winzig, so dass es uns in diesem Moment vielleicht gar nicht auffällt. Genauso ist es auch in dem lebendigen Gefüge Unternehmen.
Und damit zu einem ganz wichtigen Punkt bei einem Kulturwandel. Nichts ist für Menschen so wichtig wie die schon oben erwähnten Rituale; sie vermitteln Verlässlichkeit und Stabilität. Wenn liebgewordene Rituale wegfallen sollen (Mittagspause ist immer um 12.30 und wenn die Welt zusammenbricht) – dann braucht es neue Rituale. Und die lassen sich nur mit den Mitarbeitern gemeinsam entdecken und entwickeln. Über die Köpfe hinweg geht gar nichts! Dieses Verständnis der menschlichen Natur und des Umgangs damit würde ich als professionell bezeichnen. Welche Erfahrungen haben Sie, Herr Friedrich, gemacht: Denken Inhaber eines Unternehmens darüber nach, auf Basis welcher Werte und welchen Selbstverständnisses sie ihr Unternehmen leiten? Und was das für den Charakter des Unternehmens bedeutet?
Bernd Friedrich: Ich kann eher von den Fällen berichten, bei denen aus charakterlichen Eigenheiten von Verkäufer und Kaufinteressent heraus eine Übergabe gescheitert ist. Auch wenn alle anderen Faktoren stimmten, wie Marktwert des Unternehmens usw. Stellen Sie sich auf Übergeber- und auf Übernehmerseite zwei Alpha-Tierchen vor. Beide blicken mit einer klaren Vorstellung auf das Unternehmen. Das bedeutet, sie haben das „WAS“ im Fokus. Im Blick ist: Welche Mitarbeiter mit welchem Alter und welcher Qualifikation sind heute an Bord? Wenn nun der potentielle Übernehmer sagt: „Mit denen, die da jetzt arbeiten, sehe ich meine wirtschaftlichen Ziele gefährdet, ich werde die Belegschaft neu aufstellen“ – dann lässt sich wohl vorstellen, dass der „alte“ Chef das als Angriff auf alles empfinden muss, was er über Jahre aufgebaut hat. Gerade in solchen Konstellationen wie der eben beschriebenen gerät, in diesem Fall beim potentiellen Übernehmer, das „WIE“ aus dem Blick: Wie erreiche ich mit den jetzt dort arbeitenden Menschen und deren Wertevorstellungen mein wirtschaftliches Ziel? Ich habe in meinen bisherigen Mandaten selten Interessenten erlebt, die in den ersten Gesprächen mit dem Inhaber gefragt haben: „Wie sieht eigentlich in diesem Unternehmen, für das ich mich interessiere, das Zusammenspiel zwischen den Mitarbeitern untereinander und zwischen Mitarbeitern und Chef aus?“ Auch das kritische Hinterfragen der Wertevorstellung des Chefs sowie der aktuellen Unternehmenskultur und der erforderliche Vergleich wird von den wenigsten Interessenten vorgenommen.
Frage an Sie, Frau Daniels: Was empfehlen Sie Übernehmern? Welche wirksamen Werkzeuge für das Erkennen der aktuellen Kultur und einen möglichen Kulturwandel könnten sinnvoll sein?
Katharina Daniels: Zuerst mal klein begonnen: Der neue Chef „bricht sich nichts ab“, wenn er intensive Gespräche mit Mitarbeitern führt, und wohlgemerkt nicht nur mit den Führungskräften, ich meine gerade auch die Basis der Mitarbeiterschaft. Das können kurze Einzelgespräche sein, in der Industrie bspw. mit Mitarbeitern der Produktion. Die Menschen empfinden das als Wertschätzung und werden das dem „Neuen“ hoch anrechnen, wenn er versucht, zu begreifen, wie die Menschen in diesem Unternehmen ticken.
Ich möchte aber einen großen Schritt weitergehen: Gerade wenn es um ein so wenig fassbares, vor allem so wenig messbares Phänomen wie Kultur geht, sind Formate sehr sinnvoll, in denen von Beginn an die Mitarbeiter intensiv einbezogen werden. Nochmal: Ich kann ein Produkt in der Theorie entwickeln und es dann umsetzen; ich kann aber nicht Menschen über ihre Köpfe hinweg „entwickeln“. Ich würde hier empfehlen, sich als neuer Chef wirklich die Zeit zu nehmen und beispielsweise ein, vielleicht sogar zwei Tage mit den Mitarbeitern an Themen zu arbeiten wie: Wer arbeitet in unserem Unternehmen oder Betrieb besonders eng zusammen? Wo gibt es die meisten Abstimmungserfordernisse und wo die meisten Reibungspunkte? Welche vertrauten Gewohnheiten sind uns besonders wichtig? Weiß ich eigentlich, gerade in einem größeren Unternehmen, was bzw. woran mein Kollege da eigentlich den ganzen Tag arbeitet? Was erwarte ich von meinem Chef oder meinen direkten Vorgesetzten?
Solche Fragestellungen können in jeweils kleinen Gruppen erarbeitet werden, dann erfolgt der Austausch untereinander und – was ganz wichtig ist – eine Agenda mit Punkten, an denen die Menschen jetzt arbeiten wollen und in welchen Zeitspannen sie was erreichen wollen. Diese Agenda muss dann wirklich konsequent umgesetzt werden – und dafür braucht es natürlich Prozessbegleiter, die wiederum diese Umsetzung beobachten und dafür sorgen, dass sich das gemeinsame Vorhaben nicht in Luft auflöst. Der neue Chef vermittelt durch solche Art der Einbindung seinen Mitarbeitern Wertschätzung, das Empfinden: „Hey, meine Meinung zählt hier was“; und was folgt daraus? Mitarbeiter empfinden Stolz, auf sich und auf „ihr“ Unternehmen bzw. „ihren“ Betrieb, in dem sie arbeiten. Menschen, die stolz auf etwas sind, bringen sich ein! Solche Formate bzw. diese Art des miteinander Arbeitens, nicht nur im System (die klassische Arbeitsplatzbeschreibung), sondern auch am System (und hier geht es wirklich um die Entwicklung des Unternehmens) mögen im ersten Moment nicht sonderlich effizient wirken, also möglichst zeit- und ressourcenschonend den maximalmöglichen Output zu erzielen. Sie sind aber tiefer gedacht viel nachhaltiger, also effektiver, als bloße Verkündungsformate: „Jetzt machen wir alles anders und wer nicht mitmacht, fällt raus aus dem System“. Was Menschen selbst mitgestaltet haben, dafür stehen sie dann auch ein, mit ihrer Begeisterung und vollen Arbeitskraft.
Bernd Friedrich: Fassen wir zusammen, Frau Daniels: Mit Sicherheit können wir wohl sagen, dass die Frage der Unternehmenskultur bei der Nachfolgeregelung nicht zu unterschätzen ist. Es steht in jedem Fall eine Kulturveränderung an, denn der Nachfolger ist keine „Kopie“ des alten Chefs und er wird es anders machen. Aus der Sicht des Veräußerers ist es ihm auch erlaubt, die Wertevorstellung des Interessenten durch geschickte Fragen frühzeitig herauszufinden. Hierbei gibt es zwei wesentliche Vorteile: 1. Die Entscheidung für oder gegen einen Interessenten fällt bereits zu Beginn und 2. Falls der Interessent zum Zuge kommt, ist der Veränderungsprozess bei den beschäftigen Mitarbeitern verträglicher.
Zur Person und Rolle
Nach 20 Jahren Berufserfahrung im Personalbereich in technischen Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen ist Bernd Friedrich seit 2012 selbstständig tätig. Sein Schwerpunkt liegt in der Beratung und Begleitung des Inhabers entwickelnder, produzierender und vertreibender technischer kleiner und mittlerer (Handwerks-)Betriebe zum Thema der Unternehmensnachfolge.
Profile im Web:
www.correct-uv.de
https://vbu-berater.de/bernd-friedrich
Zur Person und Rolle
Die Kommunikationsberaterin Katharina Daniels ("Die Sprache Ihres Unternehmens") begleitet und unterstützt Führungsebenen und Mitarbeiter bei solchen (wie oben beschriebenen) Prozessen der Selbstfindung und Erkenntnis: Was macht unsere Art der Zusammenarbeit (Unternehmenskultur) aus und was wünschen wir uns? Sprechen wir eigentlich dieselbe Sprache? Meint die Führungsebene dasselbe wie die Mitarbeiter, wenn sie von bestimmten Veränderungen spricht? Wie oft geschieht es, gerade in Veränderungsprozessen, dass die Menschen im Unternehmen vollkommen aneinander vorbeireden, dass die Führungsebene nicht weiß, warum die Mitarbeiter nicht "mitziehen", und die Mitarbeiter sich unverstanden fühlen, blockieren oder in die innere Emigration gehen. Die Mentorin für Kommunikationsprozesse im Unternehmen hat für ihre Begleitung eigene Methoden entwickelt. So ermöglicht das "Unternehmenstagebuch" den Mitarbeitern, eine eigene Sprache für die erlebte Veränderung zu finden: "Was hat sich bei uns bewegt? Was läuft prima? Wo können wir noch nachbessern?" Mitarbeiter, die so zur Entwicklung ihres Unternehmens beitragen, sind stolz auf "ihr" Unternehmen und identifizieren sich mit ihrem Arbeitgeber.
Profile im Web:
http://www.daniels-kommunikation.de/
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